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AUGURI

Als ich letzten Herbst wie immer Schafe schlachtete, ging ich und betrachtete. Am Teich habe ich die Leber und all das Gedärm fotografïert, an einem kalten, stil- len Novembertag, das Wasser leicht gefroren. Mir fïelen die Auguren ein, etruskische Schamanen, wohl auch nichts anderes als Betrachter. Hochsensible, auf das Gemein- wohl achtende, sensible Warner und Schauer in fünf Disziplinen: Blitze und deren Weg; Vögel und deren Flug; die Leber und deren Zustand; irgendwas über die Qualität der Zeit; und noch eine fünfte, über die wir nichts wissen. Das Zerteilen und neu wieder Zusammensetzen ist eine wichtige Idee im Schamanismus

Hochaufgelöst.

Katharina Orlowska

Noch nie einem Werk gegenüber mehr Ambivalenz erlebt und verspürt als bei Augur#. Schreib, schreib etwas zu der Augur-Reihe, … aus welcher Position heraus? Ich bin Veganerin. Ich bin Tierliebende. Ich kann nicht anders, als in die Emotion zu gehen – aber auch in die Faszination für die Kunst, die daraus entsteht, zu stürzen. Es ist wie Tag und Nacht gleichzeitig, greifbar, vervielfacht im Fühlen, reduziert auf das Innere im Äußeren, das ich nicht einfangen kann. Ich bin erschlagen und hineingezogen, ich bin gewürfelt und ausgezogen, ich bin erfassend und fassungslos [Augur#99].

Ich versuche Vergleiche anzustellen, um einzuordnen, was sich vielleicht nicht einordnen lässt aber einer höheren Ordnung angehört. Ich sehe, dass ein Max Böhme mit Farben und Formen das schaffen kann, was nur ein Robert Schneider nur mit Worten vermag. Wortkomposition streichelt Formkomposition. Es scheint, als würde Eis brechen, das unter dem Bruch wieder zusammenschmilzt. Es scheint, als würde Stein zu fließen beginnen, nicht heiß, nur flüssig, zu einem festen Bestandteil des Samtigen werden. Es ist, als würde ich Herz- und Augenflimmern haben, während beide, Herz und Auge, explodieren in ihrer Offenheit für die Aufnahmen, für die Stimmungen, die ich darin lese – und das Fragende hinausrufe. Ich bin außer mir, während ich bei mir bin, so sehr wie selten in meinem Leben. Es ist Leben und Tod gleichermaßen, es ist das Universum und ein Stück Fleisch. Es ist Unbeständigkeit die nur darin Bestand hat. Es ist eine Prophezeiung, ein Plan, ein Streich ist es auch. Es ist harmonisch, lüstern, Trommelwirbel in der schieren Unendlichkeit. Ein Tanz des Lebens, eine Choreographie des Todes. Ein Wiederanpassen, eine Wiedergeburt. Auguris. Max‘ Schaffen, seine Kunst, gestohlen vom Leben eines anderen Lebewesens. Ich gehe damit um, umgehe es, beschnüffle es auf allen Ebenen mit Ekel und Erstaunen.

Skizziertes dringt in jede Zelle, versucht interpretiert zu werden. Es ist eine Geschichte, ein Kampf des Protagonisten, ein Zwiespalt in der Verschmelzung mit dem Eigentlichen. Oh Max, wo hast du mich da mit reingezogen? Wohin bin ich gelaufen, neugierig lächelnd wie ein kleines Kind? An den Ort des Ges(ch)ehens, dich visualisierend, wie du im Ritual ein Lebewesen tötest, um es auf anderen Ebenen wieder auferstehen zu lassen? Was kann ich tun, in meiner Verzweiflung, wenn ich den Schmerz nicht spüren kann, du auf den Kreislauf beharrst, auf das Große, das Ganze. Wie du praktizierst ist doch eine Einladung fürs Leben! Gedanken klar zu fassen, fällt mir schwer, die Bilder sind eingedrungen, alle gleichzeitig; diese Kunst löst in mir aus, was vielleicht sonst nur eine Psychose kann: Die Grenzen lösen sich auf. Die Ambivalenz damit auch. Die Lösung ist die Aufhebung, die Stilllegung, die Hingebung, die Durch-Sicht, die Lösung ist die Lösung von allem. Die Loslösung. Werde ich gedankenmusku-lös? In den Bildern trotz Loslösung keine Einsamkeit, alles Eins. Mächtig, ohnmächtig, außerirdisch, erschrocken, hochaufgelöst. Überschäumend in der Begierde alles zu sehen, zu fühlen, Gott zu spielen und Opfer zu erbringen. Eine Zusammensetzung organischen Materials zur Auseinandersetzung mit dem Gefühl. Gefühl, Gefühl, Gefühl und immer diese Begierde! Neugierde, alte Gier, Urgewalt. Schemenhaftes, weichgezeichnetes Spekulieren, ich komm da gar nicht hin. Die Wucht der Bilder lauert auf mich, es ist windig da, wo ich steh. [Augur#73] macht es vor, wie ich mich fühle, duckend geh ich durch Max‘ Kunst, obwohl das Ducken selbst reine Farce ist, eine Übersprungshandlung, weil du sowieso fällst. Rein, auf, ab, an. Abfangen wird es dich - ha!

Du bist doch Liebe, Max. In der Liebe, ist da wohl für immer auch die Zerstörung zuhause? Es ist mein Menschenbild, das erschüttert ist, und ich, ich seh Erschütterung als etwas Gutes, weil es Neues schafft. Ist es jetzt auch so? Ich werd naiv, wenn ich schau. Augur, lässt auch du dich beobachten?

Kannst du nicht nie wieder diese Kunst machen? Max. Kannst du es versuchen? Siehst du nicht, wie die Seele sitzt, da neben dir, und fleht [Augur#96]? Ich höre Smoke City, während ich durchschleiche durch die Bilder, die du geschickt hast, wie eine lichtfindige Gestalt durch labyrinthähnliche Gassen, auf der Suche nach einem Ausweg aus der Überwältigung und den Irrwegen. Auf Irrwegen erlebe ich. Dich.

This must be underwater love

The way I feel it slipping all over me

This must be underwater love

The way I feel it

[…]

After the rain comes sun

After the sun comes rain again

After the rain comes sun

After the sun comes rain again

 

Aber die Sicht ist mir durch den Augur erschwert. Und kann jetzt das #asif in deiner Erotik entdecken. Und ich beginne zu verstehen dass du nicht aufhören kannst weil du Eins damit bist, weil wir alle Eins damit sind. Damit nicht, wir sind Eins. Das Gute löst sich in das Böse auf während das Böse sich in das Gute auflöst und nicht in dem. Es fühlt sich nicht mal richtig an Satzzeichen zu setzen (… und du weißt, was das für mich heißt). #120 schleudert mich auf eine Drehscheibe und lässt mich kapitulieren. Vögel zeichnen Wege, die ich nicht beschreiten kann, also bleib ich und seh zu, dass ich schau. Deine Bilder sind nicht nur jeden Tag neu, Max. Sie sind es jede Sekunde!

 

Die Wertvorstellungen, ein Skandal. Es ist nicht nötig, verstehst du mich? Diese Schau-Lust. Das Blut und die Entscheidung. Ich mach Yoga auf der Drehscheibe, denn irgendwas muss es doch geben. Wenn wir Eins sind - und das sind wir doch! – ist es deine Art mir das zu zeigen? Ich sage nicht „mir“ weil ich persönlich bin, sondern weil wir Eins sind, und das sind wir doch, sieh auf #200. Dein Herz schlägt im Schaf. Und Cragg ist vorhersagbar gegen dich und Schiele und du, ihr hättet euch erspürt. Dein Herz schlägt im Schaf, Max. Hast du das auch gefühlt (#1, #6)? Musst du doch, in deiner Zärtlichkeit. Vom Flüssigen komm ich ins Abgehakte, ich werde mechanisch. Vielleicht ist mein Körper gelähmt. Vielleicht stagniert er als Rebellion gegen die Bewegung in deinen Bildern, fühlt sich gezwungen standhaft zu bleiben gegen diese einnehmende Dynamik. Es wird alles mitgerissen von dieser blutigen Lava. Verzweifeltes Aufbäumen. Du hast Blutfarbe an deinen Händen und ich sehe es! Dein Herz schlägt im Schaf, Max. Hochaufgelöst.

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