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LASS UNS REIN

Dorothée Berghaus

Es wirklich schwierig über Max und seine Kunst zu schreiben, wenn man, wie ich zum einen seine Exfrau ist und zum anderen keinerlei Interesse an kunsttheoretischen Erklärungsmodellen hat – schon gar nicht bei den Arbeiten von Max. Die gibt es schon und sie genügen mir auch nicht. Denn sie erklären nur winzige Aspekte seiner Kunst. Um Max’ Arbeit in ihre Gesamt-heit würdig zu vermitteln, ist der Schaffensort, der Platz andem er lebt und arbeitet unbedingter Teil dieses Textes. Warum das so ist, möchte ich hier illustrieren und beginne darum mit einem Besuch bei Max im September 2019 auf dem Mayerhof im Waldviertel.

Der Mayerhof ist ein Dreikanthof mit einem Haupthaus aus dem 14. Jahrhundert und einigen Nebengebäuden aus verschiedensten Bauepochen. Ich stand mitten in Eikes Haus, einem langgestreckten Körnerkasten aus Steinwänden, der sich außerhalb des Hofes befindet. Eike hieß der verstorbene Vater von Max. Er wollte das Gebäude irgendwann mal ausbauen. Dann verunglückte er tödlich. Jetzt ist Eikes Haus ein Ausstellungsraum, den ich durch das große Holztor an der kurzen Seite betreten hatte. Innen gibt es keine Zwischendecke oder Wände. Das erzeugt sehr viel Raum mit meterweise Luft über dem Kopf und Blick in die hölzerne Dachkonstruktion. Es hing hier nur ein einziges Bild und trug den Titel Imagine Gaia. Auch ganz schön groß: knapp neun Meter breit und fast zwei Meter hoch. Ein landschaftlicher „Böhme“ mit Ferne und Grotten, schwebenden Körpern und zarten Pflanzen. Es ist gigantisch, überwältigend und wer seine Arbeit kennt, eine wundervolle Entwicklung. Doch was ist das eigentlich für eine Welt, die Max da malt? Woher kommt sie? Was bedeutet sie? Und die brennendste Frage: Will er mich überhaupt dabeihaben?
Das Verwirrende für fast jede Betrachterin seiner Bilder ist die Quelle, aus der die Malerei von Max entspringt. Denn je länger man hinschaut und sich damit beschäftigt, begreift man, dass der Schöpfer dieser Bilder nicht an die späteren Betrachterinnen gedacht hatte. Seine deutlich nicht abstrakten abstrakten Bilder bieten erstaunlich wenig Erklärungen. Max malt nicht, weil er ein Bild vor Augen hat, das er malen will und uns vermitteln will. Er malt, weil er den Moment des Malens lebt. Leben und Malen sind bei Max untrennbar miteinander verwoben. Und das kam so:

Max ist zugleich der älteste als auch der kleinste von vier Brüdern. Als sein künstlerisches Bewusstsein erwachte, befand er sich in einer alten mehrstöckigen Sommervilla am Pöstlingberg in Linz. Das Haus hatte eine Familie von Kaffeebaronen
in den 1930er Jahren eingemottet und es genauso 1973 zu einer Witzmiete an die junge Familie Böhme vermietet. Die Mutter des Künstlers nähte sich aus Geldmangel, aber auch aus Chic lange, bunte Hippiekleider und hauchte dem mit Holzofen geheiztem Haus Wärme ein. Es war ein lauter, unordentlicher und kreativer Haushalt. Der Vater wurde nur am Wochenende gesehen und machte sonst Geschäfte in Paris oder Teheran. Ein Paradies für die Kinder, pflegten die Leute zu sagen, wenn ihr Blick über das Grundstück wanderte, das einem verwildertem Park ähnelte.

Doch für Max war es komplizierter. Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Ferdinand war ein Wuchswunder und überragte Max schon mit vier Jahren um mindestens einen Kopf. Er war und ist bis heute als Herkules bekannt. Die zwei anderen Brüder waren auch nicht schwach und im täglichen Bruderkrieg erkannte Max schnell, dass seine besten Chancen im Weglaufen lagen. Und Verstecken. Bald wurde eine spärlich möblierte Kabinettwohnung, wohl mal für Personal, im dritten Stockwerk des verwinkelten Hauses sein, wie man in Österreich sagt, Leo. Sein Schutzraum. Das Bett war noch mit der (unbenutzten) Bettwäsche von vor vielen Jahrzehnten bezogen. Sonst bot der kleine Raum nur Stühle und einem Tisch. Hier begann Max, vielleicht auch weil er sonst nichts zu tun hatte, ernsthaft zu zeichnen. Und die Zigaretten, die er seiner Mutter geklaut hatte, zu rauchen. Zwar entdeckten seine Brüder diesen Rückszugsraum auch bald, aber sie ließen ihn meistens zufrieden. Es waren einfach zu viele Stufen und es machte keinen Spaß Max zu ärgern. Er war desinteressiert an Beleidigungen. Das konnte Malen für Max. Einen Zustand erreichen, der nur ihm gehörte. Bis heute ist es das Sein beim Malen, das den Künstler interessiert. Seine Bilder sind die Momente im Atelier. Die Pinsel und die Farben, aber auch die Musik, der Rotwein, die vielen Stunden und Zigaretten. Und natürlich die Natur des Waldviertels, die er tagsüber in sich einsaugt, die ihn herausfordert und manchmal einfach überfällt.

Als Kunststudent an der Wiener Akademie für Angewandte
Kunst, fotografierte Max Fleisch, das er in seinen Händen hielt, im Grunde befühlte. Er zog die Negative auf Fotoleinwand ab und übermalte sie sparsam mit silberner Schuhcreme und Make-up, später auch Ölfarbe. Er nannte diesen Vorgang Retouche wegen des Wiederbegreifens im doppelten Sinne. Die damaligen Bilder sind rein optisch verifizierbare Ahnen seiner jetzigen Arbeiten. Eine stringente Entwicklung. Aber nicht unbedingt wegen der Thematik. Auch damals spielte der Moment im Atelier mit dem rohen Fleisch und der Aufregung eines jungen Künstlers, der er damals war, die viel
größere Rolle.

Das spannende an Max ist, dass er jedes Bild aus seinem persönlichen Jetzt entwickelt. Und dazu gehört, wie eingangs erwähnt, auch unbedingt der Ort an dem sein Künstlerkörper befindet. Max wohnt nicht irgendwo. Jeder Platz an dem sich Max länger als einen Tag aufhält, wird bei ihm zu Atelier. Er ist ein Künstler, der sich ständig und überall bewusst verortet. Das geht soweit, dass er sich sein eigenes künstlerisches Barerlebnis mit dem legendären Rauchsalon schuf, und zwar zunächst in einem Hinterzimmer der Joanellibar von Thomas Krössbacher im sechsten Wiener Bezirk und im letzten Jahr in der Kellerbar der Wiener Seccession. Von 2007 bis 2012 gab man sich im Rauchsalon regelmäßig Ausstellungen und Zimmerkonzerten, kuratiert von Ariana Fleur, hin.

Wer die volle Wucht von Maxens Verortung und Wille zum Max sein spüren möchte, muss das Mutterschiff Mayerhof besuchen. Hier gibt es keinen Fleck an dem keine Kunst entweder entsteht oder entdeckt werden kann. Die meisten Werke stammen von Max selbst, aber auch andere Künstler sind reichlich vertreten. Max ist eine passionierte Tauschratte. Brandl, Schmalix, Kogler, Oberhuber und so fort. You name them – he got them. Es ist fast paradox, wie interessiert Max
an der Kunst anderer ist, wenn man erstmal kapiert hat, wie selbstversunken seine eigenen Werke sind. Um sich selbst ro-tierend und gleichzeitig offen. Am Mayerhof sind fast ständig Gäste - außer in den bitterkalten Wintermonaten. Nicht wenige Künstlerinnen und Künstler haben hier einige Wochen verbracht, gearbeitet und manche Arbeiten dem Hof übergeben. Die erste, und immer noch eine meiner Lieblingsarbeiten, stammt aus dem Jahr 1995: sieben lebensgroße Fatschenbabys aus Gips von Martin Hodl.

Bei der Kumulation von Kunst, Kultur und Leben am Mayerhof ist es nur logisch, dass Max, übrigens mit mir zusammen, auch eine Publikationsplattform schuf: Der Sensationsverlag entstand zunächst für die ungeliebten Kinder des Kunstmarktes, nämlich Zeichnungen. Heute sind die limitierten und aussergewöhnlich gestalteten Editionen zur Dokumentation all dessen geworden, was Max imponiert und inspiriert hat. Auch seine eigenen Kataloge sind größtenteils im Sensationsverlag erschienen.

Genauso wie die Publikationen des jährlich stattfindenden Sommerfestes am Mayerhof. Seit 15 Jahren kuratiert Max dieses Fest mit Ausstellung eigener und anderer Werke, Lesungen, Konzerten und reichlich gutem Essen und Wein aus Flaschen mit selbst gestalteten Etiketten. Für die Biertrinker gibt es auch Bier und für die Müden zahlreiche Schlafstätten. Jedes Fest trägt einen Titel. Es ist programmatisches Motto, aber auch Beschreibung von Zuständen, beziehungsweise
Topoi, die Max genauer betrachten möchte. 2006 hieß das Kunstfest beispielsweise Ich sehe Land. Und sagte exakt, was gerade in der Kunst von Max passierte und sich bis vor unseren Augen offenbarte. Plötzlich gab es in seinen Bildern nicht nur Körper, sondern Raum, der mehr und mehr zu Landschaft wurde. Grüntöne traten auf. Es gab eine erste Vegetation. Und auch der Horizont war nicht länger eine bildkompositorische Linie oder wie die Jugend sagen würde, ein NPC (= Non Player Character), sondern Mitspieler mit eigener Meinung. Es war nicht unbedingt und spezifisch das Waldviertel, dass hier den großen Einfluss übte, sondern der Fakt einer lebendigen Umgebung, die einfach ist. Der spirituelle Aspekt daran, macht den Künstler nicht verlegen. Im Gegenteil durch seine deutliche Emanzipation vom Kunstmarkt, auch operativ, denn er ist sein eigener Galerist, Veranstalter und Verleger, hat sich für Max der Zugang zu seiner eigenen Welt nur noch vergrößert. Und es bleibt uns überlassen, ob wir dabei sein wollen. Ich weiß jedenfalls, was Max dazu sagen würde:

„Wie du willst … die Tür ist offen.“

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