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EMPATHY

Als ich das Buch City of Shadows von Peter Doyle in die Finger bekam, passierte etwas das Fritz Breithaupt in Kulturen der Empathie, beschrieben hat: „Der Beobachter schlüpft also nicht direkt in die Haut des anderen, sondern kalkuliert oder erträumt die Handlungsmöglichkeit eines anderen. Dies hat den Effekt, dass er aus dessen Augen zu schauen scheint“. Was sah ich? Peter Doyle hatte Steckbrieffotos aus den 1920er Jahren im Polizeiarchiv von Sydney gefunden, sortiert und publiziert. Der gerade Blick der soeben Verhafteten auf den Betrachter intensiviert den von Breithaupt beschriebenen Effekt. Als ich ihre Portraits malte, konnte ich ihren schnellen Atem der jüngsten Verhaftung, aber auch ihren Willen zur Würde spüren. Mich kitzelten ihre Pelzkrägen, würgten ihre Krawatten und ich fühlte die Hüte auf meinem Kopf. Sie sahen mir direkt in die Augen. Und gleichzeitig waren sie alle schon lange tot. Das sollte ihre einzige Bildspur in der Geschichte bleiben? Auf Steckbriefen? Schließlich ist davon auszugehen, dass von den meisten Menschen kaum andere Fotografien oder Portraits existieren. Ich konnte nicht anders als zu versuchen ihnen mit meinen Portraits eine letzte beste Version ihrer selbst zu geben.

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