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IMAGINE GAIA, 2019, 180 x 880 cm, Öl auf Leinwand

IMAGINE GAIA; 2019, 180 x 880 cm, Öl auf Leinwand

FAST

Robert Fleck

Das Bild ist extrem breit, sehr durchgearbeitet, von einer eigentümlichen Farbigkeit bestimmt, die mehr vom Licht spricht als von Chromatik. Figuration und Abstraktion halten einander die Waage bzw. lösen sich ineinander auf. Man könnte es barock nennen ob der langgezogenen Bewegung, von der es erfüllt ist, obgleich keine Bewegung dargestellt ist, nur ein Rhythmus aus formlosen Formen. Sind es Wolken? Oder Fleischstücke (wie bei einer Operation am offenen Körper)? Weder noch oder sowohl als auch. Jedenfalls handelt es sich um sehr freie Malerei.

Es wirkt durch seine Amplitude. Da ist in sehr interessanter Weise eine Malerei, die von ihrer inneren Struktur her eine Tafelbildmalerei sein könnte, als Wandbild angelegt und ausgeführt. Dieser Dialog bestimmt das gemalte Werk von Max Boehme seit der Jahrtausendwende. Genauer betrachtet kommt auch das Licht seiner Gemälde, das ihnen so eigentümlich ist, aus dieser weiten, immer wieder neuen, ohne Vorzeichnung aus dem Malerischen heraus entwickelten Wellenbewegung, die keine ist. Das Bild misst 180 mal 880 Zentimeter. Ein solches Format muss man erst einmal schaffen, und so hinbekommen. Aber das besagt natürlich noch nichts. Da ist das Leuchten, aus Nichtfarben heraus. Da ist der Rhythmus, eine ständige Wiederholung, die stets anders ist, aber Wiederholung bleibt. („Différence et répétiton“ nannte Deleuze das in seiner Habilitationsschrift.) Und da ist die Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit der Formensprache und im gesamten malerischen Ansatz. Wer anders als Max Böhme malt solche Bilder? Nur weiß es (fast) niemand. Das Gemälde heißt Imagine Gaia. Es wurde für die Ausstellung im Kunstverein Duisburg gemalt, nahezu in situ für den Raum, wenn auch im Waldviertel im weiträumigen Sommeratelier des Künstlers ausgeführt. In Österreich, wo er seit seinen Studienjahren lebt und arbeitet, war das Bild noch nie ausgestellt, wie (fast) das gesamte Werk von Max Böhme. Das stört den Künstler (fast) nicht, obgleich man ja Bilder durchaus für die Augen anderer malt. Das Werk von Max Böhme ist eines der wichtigsten in Österreich in den letzten 35 Jahren, obwohl sich dieses Umstandes (fast) niemand bewusst ist. Eines Tages ging er in einen Mayerhof im Waldviertel, eineinhalb Autostunden von Wien entfernt, und zog sich dahin zurück. Seither führt seine Künstlerbiografie die Linie der räumlich Abseitsstehenden weiter, die in der neueren österreichischen Kunstgeschichte eine essentielle Rolle spielt.

Worin besteht diese Tradition, die in seiner Generation Max Böhme auf seine Weise verkörpert und weiterführt? Im be-harrlich, aber stets hochindividuell verfolgten Ziel einer so vollständig wie möglich ausgeprägten Unabhängigkeit in ästhetischer und geistiger Hinsicht. Die Absicht besteht nicht darin, in einer gleichwelchen Konkurrenz ein toller Maler zu sein, sondern es zu erleben, was es heißt, die Freiheit des Malerlebens sich erarbeitet zu haben.

Imagine Gaia ist ein Bild, das (fast) den gesamten Werkverlauf zusammenfasst. Die amorphe Formensprache kommt aus den frühen skulpturalen Arbeiten, die Kunstleder zu abstrakten Körperteilen formten und in Akkumulationen zusammenbrachten. Sie entwickelten sich zu den ersten Leinwandbildern von Fotoaufnahmen von rohem Fleisch weiter, das, frei arrangiert, ein abstraktes All-Over über die ganze Bildfläche aus Fotoleinwand hinweg ergab und mit Tusche in unterschiedlicher Weise akzentuiert wurde. Schon hier ging es um ein Sich-Freispielen von den geläufigen Bilderwelten der Malerei. Davon ausgehend ergaben sich in der Mitte der 1990er Jahre zwei Entwicklungen, hin zu Rauminstallationen, die den Besucher in eine künstliche Haut versetzten bzw. in einen artifiziellen Uterus, auf der einen Seite, und der Schritt zu einer freien Malerei, die auf diesen Themen und die so entwickelte freie Formensprache aufbaut.

Das Bild fasst in prononcierter Weise die Entwicklung dieses bildnerischen und malerischen Werks zusammen. Die amorphe
Form baut die Bildsprache der prä-pikturalen und der pikturalen Werke auf. Sie entkommt per se dem Gegensatz von Gegenständlichkeit und Abstraktion, wie demjenigen von analog und digital. Ausschließlich aus der amorphen Form eine Bildsprache aufzubauen ist radikal und mutig zugleich. Dies prägt Max Böhmes Œuvre. Damit geht der Umstand einher, dass es auf diese Weise eine Bildstruktur im herkömmlichen Sinn nicht gibt. Die Bilder finden umso mehr ihren inneren Halt, als diese formlosen Formen geschichtet bzw. ineinandergeschoben, überlappend aufeinandergelegt und aneinandergeschmiegt werden. So baut sich der Bildraum bei Max Böhme auf.

Max Böhme malt langsam, mit viel Zeit am Bild und ausführlichem Schauen. Imagine Gaia führt überzeugend vor Augen, wie sich aus der radikalen Formlosigkeit ein vollständiges Formenrepertoire aufbauen lässt. Das Bild ein extremes Querformat, wie es sich in einer urbanen Ateliersituation (fast) kaum denken ließe. Es entstand in langen Arbeitsphasen zunächst nicht aufgespannt in direkter Konfrontation mit der Landschaft und ihren Materialien, lange vor dem ersten Farbauftrag. Auf diese Weise sind Substanz und Magie von Humus, der Vegetation und dem Außerzivilisatorischen in die Bildmaterie eingearbeitet. Die Auffassung des Materials ist damit materialbezogen wie bei Beuys und spirituell aufgeladen wie bei Kiefer. Auf dieser Grundlage entfaltet sich die Landschaftlichkeit des extremen Querformats in einem mit großer Intensität durchgearbeiteten und von einer Stelle zur anderen differenzierten All-Overs. Durch die etwas nach links versetzte, helle Bildzone mag man den Blick aus einer Höhle in eine Weite assoziieren. Jedenfalls ist man in der Abstraktion und zugleich in der Erde, genauer gesagt der Erdkruste. Max Böhme kommt dabei ohne Darstellung aus, alleine mit der assoziativen Kraft seiner Schichtungen. Das macht das Gemälde so überzeugend.

Imagine Gaia ist ein Programmbild ohne vorgegebenes Programm. Gaia ist die antike Göttin der Natur. Diese ist intensiv in das Gemälde eingearbeitet. Es bleibt zugleich bewusst formlos und ohne Sujet, ohne erkennbares Thema. Für alles offen zu bleiben, ist ein Leitspruch des Künstlers. Das Bild funktioniert gleichzeitig in viele Richtungen. Es ist ein starkes, autonomes Bild, ein Anklang und zugleich eine Vision.

 

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